Frau Anna W. meldet sich für eine psychologische Beratung an.

Sie ist Alleinerzieherin des zehnjährigen Benni. In den letzten Wochen gibt es große Probleme mit ihm. Vor allem in der Schule, manchmal aber auch zu Hause. Anna W. beschloss, dass eine psychologische Beratung die Probleme lösen kann.

Wir vereinbaren einen Termin, der die Arbeitszeiten der Mutter und den Stundenplan von Benni berücksichtigt.

Frau W., eine herzlich und spontan wirkende Person, kommt mit ihrem Sohn pünktlich in die Praxis. Benni hat seinen schweren Schulrucksack und eine Sporttasche mit, seine Mutter hat ihn von der Schule abgeholt und beide sind mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hergekommen.

Wir machen einander bekannt und ich erkläre, wie psychologische Beratung funktioniert und wie ich normalerweise mit Familien arbeite. Wir sprechen über Verschwiegenheit und den geschützten Rahmen, in welchem all das, was im Beratungsraum gesprochen wird, bleiben soll. Es sei denn, wir vereinbaren einmal für ein bestimmtes Thema (z.B. für eine Testung bei einer Kollegin, die Kontaktaufnahme zu einer Lehrerin, etc,) gemeinsam und im gegenseitigen Einverständnis etwas anderes.

Ich bitte um eine kurze Darstellung dessen, was sie beide heute zu mir geführt hat.

Benni sieht seine Mutter an, sie lächelt und beginnt mit einer kompakten, anschaulichen Zusammenfassung der letzten zwei Jahre.

Bis vor ca. zwei Jahren hat Benni zusammen mit seinen Eltern in einer Wohnung gelebt. Der Vater war schon immer beruflich viel unterwegs und musste deshalb öfter auswärts übernachten. Die Partnerschaft wurde dadurch mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem wanderten die meisten elterlichen Aufgaben anfangs unmerklich, später eindeutig zu Anna W.  Markus K. wurde mehr und mehr zu einem „Teilzeitvater“. Als sich Benni vor ca. zwei Jahren beim Sport verletzte und ein kurzer Krankenhausaufenthalt mit anschließender häuslicher Pflege notwendig wurde, übernahm Markus K. nicht wie von der Mutter erhofft, einen Teil des Pflegeurlaubs. Der darauffolgende Streit führte zum Zerwürfnis und zur Trennung der Eltern. Markus K. zog vorübergehend zu seiner Mutter. Vor etwa einem Jahr hat er sich eine Wohnung in Graz genommen.

Als ich Benni frage, wie oft er seinen Papa jetzt sehe, erzählt er, dass sie jedes zweites Wochenende miteinander verbringen. Immer wieder vereinbaren sie schon vorher, was sie unternehmen wollen. Es geht sich aber häufig nicht so aus wie geplant.

Benni besucht seit Schulbeginn das Gymnasium. Vieles ist neu: der Schulweg ist weiter, aus der Volksschulklasse gehen nur zwei Freunde mit ihm in die aktuelle Klasse. Alle anderen Mitschüler und Mitschülerinnen musste er erst kennen lernen. Es gibt fast für jedes Fach eine andere Lehrerin/einen anderen Lehrer. Manchmal notiert er sich nicht rechtzeitig seine Hausübungen. Wenn er die anderen in der Klasse danach fragt, sind sie oft unfreundlich. Drei, vier Mitschüler, es sind immer dieselben, nehmen ihm oft was weg, Stifte, ein Heft, oder sie verstecken den Rucksack. Anfangs hat er sich gewehrt, hat mit ihnen gerauft. Jetzt glaubt der Klassenvorstand, dass er einer ist, der immer Streit beginnt. Wenn er beschuldigt wird, „zuckt“ Benni aus, schreit und wirft mit Sachen. Er hat jetzt schon oft Gespräche mit der Direktorin gehabt, auch die Mama war schon in die Sprechstunde eingeladen. Der Klassenvorstand habe Mama vorgeschlagen, eine Psychologin oder einen Psychologen zu fragen. Benni meint, dass das der Grund ist, warum er und seine Mama jetzt bei mir gelandet sind.

Ich möchte noch gerne wissen, ob Benni meint, dass es zu Hause auch irgendwelche Probleme gebe.

„Naja, manchmal diskutiere ich mit der Mama über die Computerspielzeit, über die Fernsehzeit und überhaupt, wieviel ich das Handy haben darf und was ich runterlade…“

Frau W. nickt und schaltet sich in das Gespräch ein. Wir sammeln, wieviel Zeit für elektronische Medien am Nachmittag und Abend verwendet wird. Die Schätzungen von Benni und seiner Mama sind unterschiedlich.

Was noch nicht erwähnt wurde, ist, dass Benni jeden Tag bis 16:00 in der Nachmittagsbetreuung der Schule ist. Nur am Freitag kann er schon um 15:00 nach Hause gehen. Seine Hausübungen und den Lernstoff sollte er in der Zeit der Nachmittagsbetreuung erledigen. Das gelingt ihm leider selten. Oft muss er zu Hause etwas schreiben, häufig eine Mathe-Übung machen oder etwas lernen. Eigentlich ist er dafür dann schon zu müde.

Einmal in der Woche geht er zum Basketball-Training.

Planung gemeinsam mit dem Klienten

Psychologische Beratung ist dann erfolgreich, wenn sie gut geplant wird. Erstgespräche sind meistens eine sehr gute Gelegenheit, um Kernpunkte der Therapie zu planen.

Ich habe von Frau W. und ihrem Sohn in unserer ersten Sitzung einen groben Überblick über die Familiensituation erhalten und Einblick in einige Faktoren gewonnen, die das Leben der beiden, sagen wir, abwechslungsreich gestalten.

Wenn wir miteinander an manchen Punkten arbeiten sollen, ist es wichtig, dass wir uns darauf einigen, was es sein soll. Ich bitte Anna W. und ich bitte Benni, als Hausaufgabe eine Liste der Dinge zu machen, die jede/r verändern will, und dann das für sie/ihn dringendste herauszusuchen und in die nächste Stunde mit zu bringen. Ich sage ihnen, dass ich annehme, dass für Mama und Benni nicht die gleichen Themen gleich wichtig sein werden. Wir können aber, wenn beide damit einverstanden sind, abwechselnd Punkte aus beiden Listen „abarbeiten“.

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Kategorien: FamilieTherapie

2 Kommentare

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