Der Alltag mit Kindern bietet Eltern unzählige Herausforderungen. Der Druck, erzieherisch passend und gleichzeitig einfühlsam und liebevoll zu handeln ist groß. Das Ziel der verantwortungsbewussten Erziehung ist die Unterstützung in der sozialen Entwicklung. Erziehungsberatung kann hier die Eltern effektiv und gezielt unterstützen.
Wie helfe ich meinem Kind dabei, eigenständig Entscheidungen zu treffen?
Wie stärke ich das Selbstbewusstsein meines Kindes?
Wie kann ich meinem Kind am besten Grenzen aufzeigen?
Und nicht immer gelingt das. Wie subtil Erziehung im Alltag funktioniert, veranschaulicht das folgende Beispiel.
Erziehungsberatung – ein Beispiel aus dem Alltag
Der zweieinhalbjährige Timo war mit seinen Eltern im Supermarkt einkaufen. Sie verlassen das Geschäft und begeben sich zu Fuß auf den Heimweg. Seine Mama trägt einen Rucksack, sein Papa trägt einen Rucksack und zusätzlich eine Tasche mit Lebensmitteln. Als der Weg beginnt, etwas bergauf und mühsamer für kleine Kinderfüße zu werden, sagt Timo zu Papa: „Hand geben“. „Nein“ sagt Papa, „vorhin an der Strasse hab ich gesagt ´komm, gib mir die Hand` und da wolltest du nicht. Jetzt will ich dir nicht die Hand geben“. Timo beginnt leise zu wimmern, dann, schon ein bisschen lauter, zu jammern und vor sich her zu grummeln. Seine Mama, ein paar Schritte weiter vorn, in der Befürchtung, dass sich Timos Jammern steigern und seine Enttäuschung sich in lautes Weinen und Schreien verwandeln könnte, dreht sich um, streckt die Hand aus und sagt „na komm!“. Timo läuft schnell zu ihr und gibt ihr die Hand. Alle drei gehen schweigend weiter Richtung nach Hause.
Was genau ist da geschehen?
Aus Sicht der Erziehungsberatung
Papa kennt den Weg, gleich werden sie die Straße überqueren. Papa bietet Timo vorausschauend seine Hand an. Timo aber will es alleine schaffen. Er kann sich Gefahren und herausfordernde Situationen noch nicht vorstellen und noch nicht wie Papa daran denken, dass er die Straße nicht alleine überqueren kann. Er will möglichst viel selbständig tun und probiert vieles erst einmal alleine. Für den Strassenverkehr aber gibt es Regeln, die Papa stellvertretend für Timo einhalten möchte. Timo weigert sich, weil er die Gefahr nicht erkennen kann. Er ist ganz in seinem Element: Er erprobt seine Kräfte, sieht, wieviel er alleine schafft, lernt seine Selbstwirksamkeit kennen und kann darauf stolz sein. Jeden Tag und mit jeder neuen Erfahrung schafft er ein bisschen mehr. Als er später bemerkt, dass seine Kraft nachlässt und sieht, dass der Weg noch weit und jetzt auch noch etwas steiler ist, bittet er seinen Vater um Hilfe und sagt „Hand geben“. Papa verweigert und erklärt kurz und knapp aus seiner Sicht, dass die Zeit für das Angebot, das an der Strasse gegolten hat, nun verstrichen ist.
Timo lernt: wenn ich Papa um Hilfe bitte, kann es sein, dass er sie verweigert. Er lernt vielleicht auch: wenn Papa seine Hand anbietet, nicht ablehnen, sondern gleich zugreifen, sonst kann es zu spät sein. Oder: im Zweifelsfall besser nicht alleine versuchen. Und: wenn ich auf Selbständigkeit bestehe, kann es sein, dass ich zurückgewiesen werde, wenn ich später um Hilfe bitte. Timo hat eine Art „Bestrafung“ dafür erfahren, dass er Papa nicht schon vorher die Hand gegeben hat.
Was er in dieser Situation nicht lernt, ist, dass die Strasse immer eine Gefahr darstellt, auch wenn grad kein Auto zu sehen ist, und Papa oder Mama daher fürsorglich handeln, wenn sie Timo auffordern, ihnen die Hand zu geben. Es soll für Timo ganz natürlich werden, den Eltern vor dem Überqueren der Strasse die Hand entgegen zu strecken. Beim nächsten Mal kann Papa vielleicht schon beim Weggehen mit Timo darüber sprechen, wann und warum es sinnvoll ist, an der Hand der Eltern zu gehen, und welche Strecken Timo schon ganz alleine bewältigen kann.
Dann greift Mama ein und verhindert einen Ausbruch negativer Gefühle. Mama rettet Timo aus der Situation und bietet ihm Hilfe an. Sie gehen Hand in Hand weiter.
Timo lernt: wenn meine Kraft nachlässt und ich darüber unglücklich bin und jammere, wird mich Mama retten. Wenn Papa sich weigert, ist immer noch Mama da, die mir Hilfe anbietet.
Zunehmend soll Timo aber lernen, sich selbst und sein Können besser einzuschätzen, um rechtzeitig um Hilfe bitten zu können und nicht jammern oder schreien und weinen zu müssen.
Wie Erziehungsberatung unterstützen kann
Es gibt Situationen, die nicht viel Handlungsspielraum zulassen. Beim Überqueren der Strasse ist es sinnvoll, dem Kind kurz zu erklären, weshalb es an Papas oder Mamas Hand gehen soll. Andere Möglichkeiten gibt es hier nicht. Aus Sicht des Kindes sind die Grenzen sehr eng gesteckt.
Im Alltag haben Eltern in jeder neuen Situation recht viele Möglichkeiten zu handeln. Manche Verhaltensweisen sind passend, manche ein bisschen weniger. Fehler machen alle. Eltern, die einfühlsam und fürsorglich mit dem Kind umgehen und versuchen, es in seiner Entwicklung Richtung Selbständigkeit, Stärke und Selbstbewusstsein zu unterstützen, ihm gleichzeitig immer wieder die Grenzen aufzeigen, die das alltägliche Leben in der Gemeinschaft mit sich bringt, und sich selbst als Modell so verhalten, wie sie es von ihrem Kind erwarten, sind wahrscheinlich schon auf dem richtigen Weg. Ein gedanklicher Austausch von Zeit zu Zeit über die Entwicklung des Kindes, über Erziehungsziele und pädagogisches Verhalten kann die Freude am Leben mit dem Kind und die elterliche Kooperation stärken.