Die Schulzeit und der mit ihr verbundene Prüfungsstress können einen tiefen Eindruck auf unsere junge Psyche hinterlassen. Das zeigt sich auch in unseren Träumen wenn wir schon lange erwachsen sind. Die Schule und die Prüfungssituation werden so zum Stellvertreter für Versagensangst.
Versagensangst – Die Schulprüfung im Traum
Marlies, eine beruflich erfolgreiche Mittvierzigerin, kommt in die Therapiestunde und lässt sich in den Sessel fallen: „ ich muss das jetzt gleich erzählen, ich bin noch ganz unter dem Eindruck dieses Traums:
Ich bin wieder Schülerin, sitze mit den anderen aus der Klasse im Physiksaal unserer Schule. Die Sitzbänke im Physiksaal sind nach hinten zu ansteigend. Der Matheprofessor hat uns die Plätze zugewiesen. Wir sitzen so im Saal verteilt, dass wir einander nicht helfen oder voneinander abschreiben können. Er geht ständig im Raum umher und hat jede und jeden genau im Auge. Die beiden Mitschüler, mit denen ich in den vergangenen Tagen die Vorbereitungen für die Schularbeit gemacht habe, sitzen ganz weit weg. Ich sehe mir die Beispiele an. Keines davon kann ich lösen! Ich bin verzweifelt, gerate in Panik und … erwache schweißgebadet!“
Dieser Traum ist nicht unüblich. In psychotherapeutischen Gesprächen taucht in schöner Regelmäßigkeit immer wieder das Thema Schule auf. Obwohl schon längst erwachsen und im Beruf engagiert, erzählen Klientinnen und Klienten ihre Erinnerungen an die Schulzeit. Mit dem Erzählen der Erlebnisse werden die begleitenden Gefühle wieder belebt und scheinen fast genauso intensiv beschreibbar wie damals.
Noch nach Jahren können Ereignisse aus dem Schulkontext präzise wiedergegeben werden. Sie sind, wie damals, mit starken Emotionen verbunden. Diese starken begleitenden Emotionen sind mit ein Grund dafür, dass wir uns auch an vergessen Geglaubtes plötzlich wieder erinnern. Oder dass wir ganz bestimmte Situationen immer wieder aus dem Gedächtnis abrufen können.
Sehr oft geht es dabei um das erweiterte Thema Leistung und Versagen, Darstellung des eigenen Könnens und Nichtkönnens. Es geht um die Präsentation der Kompetenz und Inkompetenz (auch der sozialen) und um Erfolg und Misserfolg. Es geht um Versagensangst. Die Angst, sich lächerlich zu machen, sich zu blamieren, vom Lehrer nicht geschützt und unterstützt zu werden. Angst, vor der Gruppe der anderen lächerlich gemacht, bloßgestellt und im Versagen vorgeführt zu werden.
Die ganz persönlichen Themen, die sich nach behutsamer Rück- und Vorschau im therapeutischen Gespräch ergeben und uns zurück ins Hier und Jetzt führen, lauten für Marlies:
- Bin ich gut genug im Job? War mein Erfolg bisher Zufall?
- Bin ich gut genug für meine Partnerschaft? In meinen Freundschaftsbeziehungen?
- Bin ich gut genug für meine Familie? Muss ich mich mehr einbringen?